Verrückt bleiben! – Mein Leitfaden für freie Radikale

  • Ich werde jeden Tag mit feurigem Atem begrüßen.
  • Furchtlos sein! Nicht warten, was die anderen sagen!
  • Es ist nie zu spät.

Kapitel 1: Selber denken

„Wenn Du denkst, du denkst, dann denkst du nur, du denkst.“ (Juliane Werding)

Das Leben persönlich nehmen und danach handeln, so geht es. Man definiert sich durch die Entscheidungen, die man trifft. Sich nicht beirren lassen. Nicht auf jede Frage gibt es eine Antwort, dennoch kann man danach suchen.

Wer einen Gedanken zum ersten mal denkt und ausspricht, steht oft vor den anderen wie ein Depp da. „Der Stein der Weisen sieht dem Stein der Narren zum Verwechseln ähnlich“, sagt Joachim Ringelnatz. „Das Falsche ist oft die Wahrheit, die auf dem Kopf steht“, sagt Freud. Selber denken, es anders anpacken. Was ist so schlimm daran?

Wie will ich leben? Warum lebe ich anders, als ich leben will?

Leben Sie nicht nach Norm und Gesellschaft; leben Sie nach Intuition und Instinkt. Sie werden erstaunliche Entdeckungen machen.

Kapitel 5: Ruhepause: Think small!

„Ich leide an Versagensangst, besonders, wenn ich dichte. Die Angst, die machte mir bereits manch schönen Reim zuschanden.“ (Robert Gernhardt)

Der Mensch, auch der tatkräftige, kann nicht jeden Tag einen tanzenden Stern gebären. An manchen Tagen atmet der Mensch flach, kaum hörbar. Er befindet sich, wie Kipphardts März es sagen würde: „Im Zustand des Leerlaufs auf vollen Touren. Er ist voll, viel zu voll von allem, und er ist erschöpft.“ Das sind die Momente totaler Ausbremsung.

Der Zweifel, vor allem der Selbstzweifel macht uns hässlich und klein. Auch die Großen. Man kann es nur machen wie die Anonymen Alkoholiker. Einen Fuß vor den anderen setzen, anstatt in der Tiefe des Tals über den Sinn des Lebens nachzugrübeln.

Think big. Visionen sollen wir haben. Verschieben Sie die großen Fragen auf die großen Tage. Die kommen wieder. In Zeiten der Not muss man auf die Füße schauen. Mann muss sich leer machen, dann wieder aufstehen, sich neu füllen. Stecken Sie – vorübergehend – den Kopft in den Sand. Die Faustregel dafür ist griffig wie kurz: Think small.

Kapitel 8: Hose runter! Letters to myself

„Eine schlimme Nacht. Ich will nicht lesen, was ich in ihr geschrieben habe. Es war sicher schwach, es war unerlaubt, aber es hat mich beruhigt. (Elias Canetti)

Jeder Mensch ist wie eine Matroschka, eine russische Puppe: ein Geheimnis ist im Bauch des nächsten versteckt.

Was hindert mich am Glücklichsein? Auch wenn sich diese Frage nicht ganz ohne weiteres beantworten lassen – man kann sie aufschreiben. Ganz altmodisch, mit Papier und Stift. Ich sprech vom klassischen Tagebuch, das keiner liest – das Gegenteil also von Bloggen. Ich versuche zu ergründen, was mir heute im Magen liegt. Ich halte Zufriedenheiten fest – meist neigt man dazu, im Tagebuch zu klagen, denn die guten Zeiten lassen sich schlecht protokolieren. Wichtig ist, dass der innere Zensor ausgeschaltet wird. Krisen werden nicht verarbeitet, nur protokolliert. Tagebuchschreiben ist ein Monolog, kein Dialog. Die Auseinandersetzung mit sich selbst erfolgt im engsten Rahmen: allein. Wer sich selbst seine Beweggründe, seine Abgründe, seine sonstigen Gründe verrät, der muss vor Anderen nicht wie eine offene Wunder herumlaufen. Dort können wir uns selbst wichtig nehmen, unserem Leben eine Bedeutung geben. Schreiben Sie Tagebuch – aber verstecken Sie es gut!

Kapitel 12: Glücksmomente

„Es ist gut. Alles. Der Mensch ist unglücklich, wer er nicht weiß, dass er glücklich ist. Nur deshalb. Das ist alles, alles! Der das erkennt, der wird gleich glücklich sein, sofort im selben Augenblick.“ (Fjodor Dostojewski)

Alle suchen das Glück, aber wo ist es denn? Glück ist im Schöpfungsplan nicht vorgesehen, sagt Freud.

Der Zustand dauerhaften Glücks ist Quatsch mit Soße. Selbst wenn es da ist, wird es nicht als Zustand dauerhaften Glücks empfunden. Das Plateau kann noch so hoch sein – wenn man sich daran gewöhnt hat, fühlt es sich flach an. Was folgt, ist Jammern auf hohem Niveau. Aber es gibt Glücksmomente, die für immer bleiben. Ich bin eine eifrige Sammlerin von Glücksmomenten – sie immer wieder erleben und otpimieren wie in „Und täglich grüßt das Murmeltier.“.

Erkennen Sie den Glücksmoment, wenn er passiert. Schaffen Sie sich aktiv Glücksmomente. Erinnern Sie sich daran rufen Sie sie immer wieder ab. Ich wollte, man könnte eine besonders schöne Erinnerung wie ein Parfüm in einer Flasche aufbewahren, so dass sie ihren Duft nie verliert. Geht das vielleicht doch? Mit Fotos, mit Videos, mit Notizen, mit Bildern, die sich in die Netzhaut brennen?

Machen Sie eine Liste mit Glücksmomenten für unglückliche Zeiten.

Kapitel 13: Ideentöter – unser schlimmster Feind

„Bei uns in Brasilien gibt es einen Witz: Ein Mann präsentiert das Drehbuch für den Film Kingkong. Tolle Idee, sagt der Produzent, aber machen Sie die Affen raus.“ Nizan Guanaes, Creative Director

Sind Sie ein Ideentöter?

Die schwachen Ideen müssen sterben, damit die starken überleben können. Es kann sein, dass Sie sie so lange verschlimmbessern, bis sie das Schicksal einer mehrfach gelifteten Frau ereilt: Sie verlieren ihre Originalität. Es kann sein, dass es die Strudel unserer Wirklichkeit nicht überlebt.

Selbst wenn Sie für Ihre Idee ein offenes Ohr finden. Man kriegt die Banane nicht ohne die Schale. Dennoch: Es lohnt sich. Führen Sie immer ein Notizbuch mit sich. Holen Sie Ihre Ideen ans Licht!

Kapitel 14: Der illusorische Brief der Woche

„Die Gruppe Rammstein schickte seit Jahren CDs los. Sie wurden nie gehört. Aber dann kam der Zufall…“

Schreiben Sie einmal in der Woche einen illusorischen Brief, an einen Kollegen, einen Politiker, an jedem, dem Sie etwas zu sagen hätten, und sei er noch so fern. Der Erledigungsplan steht immer zwischen uns und der großen Tat. Die großen Dinge müssen, ganz beiläufig, in die Erledigungsliste integriert werden.

Kapitel 16: Zeitinseln durch Aberwitz

Terminhetze ist eine Tyrannei der Jetztzeit. Blocken Sie einen Tag in der Woche – ohne anderen Rechenschaft darüber zu geben, was Sie tun und wo Sie sind. Tun Sie konsequent und ununterbrochen NICHTS. Vertiefen Sie Ihre Spezialkenntnisse oder gehen Sie mitten am Tag ins Kino. Machen Sie eine Stadtrundfahrt durch die eigene Stadt.

Will man Sie zur Rechtfertigung zwingen antworten Sie mit den Worten: „Ich möchte lieber nicht.“ Kämpfen Sie für Ihre Zeitinseln. Erfinden Sie einen Torhüter, eine Astrid Meierhanns – meine imaginäre Sekretärin.

Kapitel 17: Ab und an die Festplatte löschen

„Der Besitz besitzt. Er macht Menschen kaum unabhängiger.“ (Friedrich Nietzsche)

Der Inder Anshuman Jain, Chef der Deutschen Bank, empfiehlt sein Herz nicht an Dinge zu hängen. Er ist „detached“ – er folgt dem Prinzip der Nichtanhaftung. Er vertritt drei Prinzipien: Gewaltlosigkeit, Unabhängigkeit und Wahrhaftigkeit. Wenn dieser Mann eines Tages alles verliert, kann er wahrlich besser damit umgehen als die meisten anderen Menschen.

Auch ich plädiere für einen schlanken, aktiven Bestand. Ich bin ein Wegschmeißer, ein In-den-Kreislauf-Zurückgeber. Wenn ich ein Buch gelesen habe, setzte ich es auf einer Parkbank aus. Eine neue Hose tausche ich gegen eine andere aus und bringe sie in die Altkleidersammlung.

Kapitel 18: Fernweh

„Froh schlägt das Herz im Reisekittel, vorausgesetzt, man hat die Mittel.“ (Wilhelm Busch)

Der Weg nach Hause führt manche einmal um die Welt.

Kapitel 20: Blamieren

„Alte, peinliche Lebenserinnerungen, zwanghaft, wie oft. War nicht das ganze Leben peinlich.“ (Thomas Mann)

Blamieren zum Konzept machen!

Sehen wir Blamagen nicht als Defizit, sehen wir sie als Talent! Sagen wir uns: Die Blamage ist eine Kunst, die ich vortrefflich beherrsche.

Wenn sich andere Menschen in Ihrer Gegenwart blamieren, sind Sie dann schadenfroh, erleichtert, dass es Ihnen nicht passiert, oder tut es Ihnen leid, versuchen Sie, diese Menschen zu beschützen?

Es gibt im Leben zwei Möglichkeiten: Blamagen zu vermeiden oder die eigene Peinlichkeit radikal runterzuziehen. Man sollte doch immer das Positive sehen. Warum soll man denn nicht auch Blamagen positiv sehen? Blamagen sind eine Art Überlebenstechnik, ein menschlich-allzumenschlicher Appell an die Imperfektion. Man wächst daran!

Kapitel 22: Spuren hinterlassen

Es ist überaus hilfreich, sich zu Lebzeiten bewusst zu machen, welche Spuren man hinterlassen wird. Hinterlassen Sie Spuren, auch wenn es Fragmente, Irrtümer, Scherben sind. Ihr Spuren sind ein Angebot an die Welt, auch wenn sie sich ohne Sie weiterdreht. Jemand wird davon angerührt, beineindruckt, inspiriert sein.

Welche Spuren hinterlassen wir in der Welt? Wer beendet unsere Aufgabe?
Kann uns das egal sein, sollte uns das nicht sogar egal sein? Oder sollten wir vielmehr wollen, dass es möglichst viele Spuren von uns gibt?

Vor zwei Jahren habe ich das Tagebuch meiner Kindheit gelesen und verbrannt. Ich will nicht etwas Spuren vernichten, ich will vielmehr verdichten, will noch zu Lebzeiten aufräumen.

In einer Sammlung, die ich „Erzähl mir was von mir“ nenne, befrage ich seit Jahren Menschen, die mir in meinem Leben begegnet sind. Ihre Aussagen sind widersprüchlich und oft nicht schmeichelhaft. Ist das wirklich wahr?

„Eigentlich bin ich ganz anders, ich komm nur so selten dazu.“ (Ödön von Horvath)

Ich sehe mein Leben als unaufhörlichen Selbstversuch. Ich bin gleichzeitig das Versuchskaninchen und die Leiterin des Experiments. Aber bin ich so, wie ich glaube zu sein, oder bin ich so, wie die anderen sich an mich erinnern? Was wird bleiben?

(Quelle: Else Buschheuer: Verrückt bleiben! – Mein Leitfaden für freie Radikale.)